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Liebe Freunde,

in diesen Zeiten werde ich häufig zu meiner Meinung im Hinblick auf die jüngste Entwicklung des Ukrainekonflikts gefragt. Manche erhoffen sich objektivere Informationen von jemandem, der die russländischen Medien regelmäßig beobachtet, andere suchen primär eine Bestätigung ihrer traditionell russlandkritischen Sichtweise. Mitunter sind diese Diskussionen ungewöhnlich lebhaft, was mich dazu veranlaßt hat, an dieser Stelle eine kurze Zusammenfassung meiner Sichtweise zu geben.

Es handelt sich hierbei weder um eine Rechtfertigung, noch um einen politischen Aufruf, sondern um die Sichtweise eines professionell in die Beziehungen der Europäischen Union und den Ländern der ehemaligen UdSSR eingebundenen ehemaligen Beraters, der auch in der Ukraine an den Rechtsreformen zur Angleichung der Rechtsordnung an die Rechtsstandards der Europäischen Union für Demokratie und Marktwirtschaft mitgewirkt hat. Ich habe an dieser Stelle nicht den Anspruch auf wissenschaftliche Vollständigkeit. Über konstruktive Hinweise freue ich mich.

Zunächst ist festzustellen, daß die Ukraine, wie viele andere Nachfolgestaaten der UdSSR auch, bereits 1994 ein Partnerschafts und Kooperationsabkommen mit der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten abgeschlossen hatte und sich nicht zuletzt damit zur Hinwendung zu Demokratie, Marktwirtschaft und allgemein europäischen Werten verpflichtet hatte. Im Zuge der Vorbereitung eines Handelsabkommens zwischen der Ukraine und Russland kam es 2013 zu breiten, friedlichen Protesten großer Teile der Bevölkerung. Diese Demonstrationen wurden zunehmend von rechtsexstremen Kräften (rechter Sektor) unterwandert, die die zunächst friedlichen Demonstrationen in eine Situation wandelten, die einem Bürgerkrieg glich.

In diesem aufgeheizten politischen Klima führte das ukrainische Parlament 2014 in einer Art „Nacht- und Nebelaktion“ ein Amtsenthebungsverfahren über den amtsinhabenden Präsidenten durch. Die Voraussetzungen für eine Amtsenthebung wurden jedoch nicht erfüllt, trotz dessen bildete das Parlament eine neue, nicht demokratisch legitimierte Übergangsregierung. Dem legitimen Präsidenten blieb das Exil. Dieses Vorgehen wird als Wahlbetrug zu werten sein, der den Wählern des Präsidenten den Wert ihrer Wahlstimmen aberkannte. Es ist zu konstatieren, daß an dieser Stelle die Ukraine den europäischen Weg, den Weg der Demokratie, verließ. Dies war in erster Linie zum Nachteil der typischerweise historisch und kulturell an Rußland orientierten russischsprachigen Bevölkerung auf der Krim und in der Ostukraine. Diese Gebiete sagten sich unter Hinweis auf die fehlende Legitimität der Regierung von Ukraine und aus Sorge vor Übergriffen durch den erstarkten „rechten Sektor“, der zu einem erheblichen Teil aus Nationalisten und Neofaschisten besteht, los. Eine weitere Zugehörigkeit dieser Gebiete und deren Bewohner zur Ukraine erscheint angesichts des ohnehin dünnen historischen und kulturellen Bands mit der Ukraine, dies gilt insbesonderer für die Krim, als unzumutbar, zumal Rechtsschutz angesichts der ungefestigten ukrainischen Justiz und der häufig von politischen Partikularinteressen dominierten EU-Bürokratie damals als unrealistisch erschien.

Verstärkt wurde dieser Befund durch Ambitionen gefördert, der russischen Sprache den Status als Amtssprache zu entziehen und die russischsprachige Bevölkerung damit rechtlich und politisch zu degradieren, ferner durch die Errichtung für Denkmäler für sogenannte Nationalhelden, die sich des Völkermords an Juden und Polen und der Kollaboration mit den Mördern des Naziregimes während der Zeit des Zweiten Weltkriegs schuldig gemacht haben und schlußendlich ein rücksichtsloser Militäreinsatz der von 2014 – 2021 mehr als 14.000 Menschen darunter über 4.000 Zivilisten das Leben gekostet hat. Denkmäler sind bekanntlich Werte und Handlungsprogramm. Die Sorgen um einen erneuten Genozid sind greifbar.

Es ist offensichtlich, daß dieser in Europa zunächst wenig beachtete – obwohl mitten in Europa stattfindende – Krieg aus humanitären Gründen beendet werden muß. Abmachungen der Konfliktparteien im Minsker Prozess“, die auf eine Deeskalation der Konflikts zielten, wurden von den Parteien nicht umgesetzt. Auch in der Hoffnung westliche Unterstützung, im günstigsten Fall eine NATO Mitgliedschaft, zur Wiederherstellung der verlorenen territorialen Integrität erlangen zu können, startete die Ukraine ein massives Aufrüstungsprogramm.

Es ist bekannt, daß die Integration der Ukraine in die NATO zu Recht auf erhebliche Vorbehalte seitens der russländischen Regierung trifft. Zusagen auch Deutschlands im Zuge der Zwei-Plus-Vier-Vertragsverhandlungen – unerheblich of schriftlich oder mündlich – wurden nicht eingehalten. Die Sicherheitsinteressen der Nato-Nachbarn spielten bei den verschiedenen Wellen der Nato-Erweiterung offenbar nur eine untergeordnete Rolle, jedenfalls sofern Rußland betroffen war. Ein Militäreinsatz der russländischen Armee erscheint daher als der einzige realistische Ansatz zur Beendigung des Krieges in der Ukraine und dessen weiterer, unter Umständen globaler, Eskalation.

Ich wünsche mir, dass sowohl Deutschland als auch die Europäische Union alle erdenklichen Maßnahmen ergreifen werden, die dazu beitragen können, die Anzahl der Opfer des Krieges zu begrenzen und auf die Konfliktparteien einwirken, einen substantiellen Verhandlungsprozess einzuleiten. Die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine kommen einer Kriegserklärung gleich. Ich distanziere mich diesbezüglich ausdrücklich.

Herzlichst

Euer

Dr. Maik S. Masbaum

Hamburg, 10.03.2022